Freitags-Song-Kalligrafie: Say Something von A Great Big World
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Musik sehen. Farben hören. Formen fühlen. Was liegt da näher, als Liedtexte, die einem etwas bedeuten, zu kalligrafieren und illustrieren?
Seit Jahren führe ich mein ganz persönliches Song-Buch, in dem ich besonders schöne Song-Texte aufschreibe. Seit einigen Monaten mache ich mir sogar die Mühe, diese kalligrafisch schön zu gestalten. Vor einigen Wochen habe ich begonnen, diese auch zu illustrieren. Und seit heute entlasse ich manche dieser Freitags-Song-Kalligrafien in die große weite Welt.
Den offiziellen Anfang macht „Say Something“ von A Great Big World. Allerdings mag ich andere zwei Versionen davon viel lieber.
Say something … I’m giving up on you – das traurige Ende einer Liebe
Kina Grannis arrangiert ihre Version stark reduziert und lässt ihre Stimme zerbrechlich klingen. Genauso zerbrechlich, wie die Gefühlswelt eines Menschen, der gerade begreift, dass um ihn herum alles zusammenbricht und etwas was für die Ewigkeit galt, nun ein Ende findet.
Boy Epic geht bei seiner Interpretation anderen Weg. Wo Kina Grannis resigniert klingt, scheint er zunächst noch Hoffnung zu haben. Die Hoffnung, die in Wut umschlägt, die zu Verzweiflung wird, die schließlich der Akzeptanz Platz macht.
Ich liebe die Geschichte, die das Video erzählt. Zwei Menschen, die sich direkt gegenüber stehen und doch nicht zusammen sind. Wo der Eine versucht, zu anderem durchzudringen und nur noch auf taube Ohren stößt. Ich denke, jeder, dessen Beziehung schon einmal zerbrochen ist, kennt dieses Gefühl. Das zerstörende Gefühl des Nebeneinanderlebens, wo einst ein Zusammenleben war.
Von Musik und ihren Bildern
Wie stellt man nun Gefühle, Verletzlichkeit, Hoffnung, Wut, Rage, Verzweiflung, Resignation in einem einzigen, unbewegten Bild dar? Für mich lautet die Antwort: So! (Für größere Ansicht einfach auf das jeweilige Bild rechts klicken und „Bild (im neuen Tab) öffnen“ auswählen.)
Eine alternative Version dieser Kalligrafie gibt es am Ende des Artikels.
Wussten Sie, dass die Schrift des Menschen sich je nach seinen Emotionen verändert? Können Sie sehen, wie die Schrift sich im Laufe des Monologs verändert? Wie man zunächst versucht, sich zu beherrschen, um einen Dialog anzuregen, um den Partner nicht zu verschrecken, damit dieser sich nicht komplett zurück zieht. Wie man dann immer wütender wird, bis man schreit. Und wie man am Ende aufgibt und sich selbst in sein eigenes Schneckenhaus zurückzieht.
So, jetzt könnten Sie eigentlich aufhören, weiter zu lesen. Es sei denn, Sie würden gerne wissen, wie es dazu kam.
Referenzfotos und Skizzen
Es begann damit, dass ich eine ungefähre Vorstellung davon hatte, wie das Lied aussehen könnte. 82 Referenzfotos und fünf Skizzen später stand für mich fest, welche Emotion ich vor allem darstellen wollte.
Neue Techniken Maltechniken und -mittel
Seit Kurzem beschäftige ich mich mit chinesischer Tuschemalerei. Meine bevorzugte Lehrmethode dabei: Grenzen ausloten. Was kann ich damit machen? Wie weit kann ich gehen? Wie kann ich das abwandeln? Wie kann ich das mit den mir bereits bekannten Maltechniken und Malmitteln kombinieren?
Und so musste diese Illustration unbedingt auf Wanzhou-Papier mit Sumi-e Tusche gemalt werden. Bei den Farben ließ ich mir freie Hand. Was bedeutete, ich habe Versuchsbilder gemalt. Viele Bilder. Sehr viele sogar. Und ich habe dabei viel über chinesische Tuschemalerei, chinesisches Papier, chinesische Tusche, chinesische Pinsel und chinesische Farben gelernt. Aber ich will Sie damit nicht langweilen. Vielleicht gibt es dazu eines Tages einen eigenen Artikel.
Für meinen ersten Versuch nahm ich (faul, wie ich bin) flüssige Sumi-e Tusche. So ungeduldig, wie ich nun einmal bin, wartete ich nicht lange genug, bevor ich mit den Wasserfarben drüber malte. Was man auch deutlich sieht.
Für den zweiten Versuch rieb ich feste Sumi-e Tusche an und wurde enttäuscht, da ich weder satte Töne noch trockenen Pinsel damit erreichen konnte (Sie ahnen schon, ich war einfach zu faul, wie der nächste Versuch deutlich zeigen wird). Statt Aquarellen benutzte ich diesmal Inktense von Derwent, die wasserfest austrocknen.
Die im Bild sichtbaren farbigen Tuschesteine enttäuschten mich hingegen, da sie beim Anreiben auf einem (neuen) Reibstein nur noch schmuddelig aussahen. Glücklicherweise gibt es Twitter und hilfsbereite Twitterer. Und so wurde der nächste Versuch mit auf einer Nagelfeile (Not mach erfinderisch) geriebenen farbigen Steintusche gemalt.
Da ich dazu neige, Bilder, die mir überhaupt nicht gefallen haben, durch weitere Versuche zu zerstören, übermalte ich chinesische Tusche mit Buntstiften von Luminance (meine Lieblingsstifte unter Buntstiften, weil sie so weich sind), nachdem ich das Papier aufs Druckerpapier aufgezogen habe.
Danach im Schnelldurchlauf:
Zunächst ein letzter Versuch mit der farbigen chinesischen Tusche.
Dann ein Versuch mit chinesischen Gouachen.
Gefolgt von chinesischen Aquarellen.
Und schließlich der Gewinner: japanische Wasserfarben von Boku-Undo „Shadow Black“!
Endspurt
Nachdem ich nun endlich die Pose und das Farbschema fertig hatte (eigentlich hätte das letzte Bild lediglich eine Farbstudie sein sollen, also kein fertiges Bild, gefiel es mir so gut, dass ich beschloss, dass ich es für die Kalligrafie verwenden werde), stand die Komposition der fertigen Kalligrafie auf dem Programm.
Ich musste mich entscheiden, wie ich den Text und das Bild anordne und wie ich den Titel gestalte. Hier kam mir digitale Bildverarbeitung sehr zugute. So konnte ich analoge Texte und das Bild so lange in der Gegend herumschieben und mit unterschiedlichen Platzierungen und Schriften für den Titel spielen, bis ich zufrieden war.
Kurz spielte ich mit dem Gedanken, die Kalligrafie nach dem Vorbild chinesischer Kalligrafien auf einer vertikalen »Rolle« unterzubringen. Und obwohl ich mich schließlich dagegen entschied, werde ich vielleicht eines Tages auch die vertikale Kalligrafie fertig stellen.
Schließlich beschloss ich, nicht nur den eigentlichen Titel (Say something), sondern auch den zweiten Teil der ersten Zeile (I’m giving up on you) zu verwenden und die Kalligrafie darin einzuklammern. Damit schloss sich der Kreis: Am Anfang noch zwischen Hoffnung und Verzweiflung schwankend (Say something), am Ende resigniert (I’m giving up on you).
Noch ein letztes Cover (da zwei keine drei sind)
Und zum Schluss der Vollständigkeit halber (in Verneigung von der Wandelbarkeit menschlicher Stimmen):
Sie haben eine Anmerkung oder eine Anregung zu diesem Artikel? Ich freue mich über Ihren .